Unruhestand

Mein Vater war nach eigenem Bekunden etwa 78 Jahre lang gesund, erkrankte dann aber am Prostatakarzinom. Er wollte sich nicht operieren lassen und starb 2010, mit 79, weil der Krebs sich im ganzen Körper unheilbar ausbreitete.
Ich habe in den ersten 30 Jahren meiner Lehrerzeit an der Rudolf Steiner Schule Bochum insgesamt keine zwei Wochen krankheitsbedingt gefehlt.

Nach Vaters Tod habe ich einmal jährlich meinen PSA Wert im Blut testen lassen (kostet etwa 20€), weil durchaus eine Wahrscheinlichkeit bestand, die Krankheit vererbt zu bekommen.

Während meiner ausgedehnten Radreisen 2006/ 2010/2013/2016 hatte auch ich genügend Zeit, darüber  nachzudenken, was ich im Falle der gleichen Erkrankung tun würde: Anders handeln!!!

Alles schien auch bestens zu sein, bis plötzlich, kurz vor Weihnachten 2016 und nur 5 Monate nach meiner ersten Islandreise der PSA–Wert auf etwa 10 anstieg.

Mein Urologe empfahl eine Biopsie.

Am 24. Januar 2017, vier Tage nach den Eisschnelllauf Weltmeisterschaften der Masters in Inzell, wurde diese durchgeführt.

Man wurde fündig: Ein Böses Prostatakarzinom im Anfangsstadium „wohnte“ in mir.

Natürlich kam es unerwartet. Natürlich habe ich es mir nicht herbeigewünscht, daran zu erkranken. Und ich hatte noch überhaupt keine „alterstypischen“ Probleme, deren Lösung Männern meines Alters täglich in der Fernsehwerbung mittels verschiedener Präparate versichert wird…

Direkt während der Besprechung der Diagnose bat ich den Urologen, in einer Spezialklinik in Herne anzurufen und nach dem Termin für eine daVinci-Roboter-OP zu fragen, die in der Regel etwa 3 Monate nach der Diagnose möglich ist.

Ein Termin fast genau zwei Wochen später war freigeworden. Ich sagte zu.

Nach der Überwindung des Schocks durch die Familie, habe ich auch dem Kollegium mitgeteilt, dass ich erkrankt sei und in zwei Wochen operiert werden würde. Auch manchen Schuleltern teilte ich die Art der Erkrankung mit. Meinen Schülern sagte ich hingegen nur: „Mir geht es sehr gut und ihr habt mich noch nie krank gesehen. Jetzt hat man bei mir etwas entdeckt und – damit es mir weiter gutgehen kann – werde ich einige Wochen fehlen müssen“.

Nach gut drei Monaten war ich wieder im Dienst. Der Wiedereinstieg gelang.

Den 13. Februar feiern meine Frau und ich seitdem als meinen zweiten Geburtstag.

In der Bochumer Lokalpresse erschienen um die Jahreswende 2017/2018 ausführliche Artikel mit Fokus auf die ersten 10 Monate seit der Diagnose und auf die sportliche Wiederkehr nach überwundener Krebserkrankung, nachdem ich im Eisschnelllauf bei den Masters (Wettbewerbe in AK: Alters-klassen) beim International Erfurt Criterion und den Deutschen Meisterschaften jeweils Zweiter meiner AK über 500m/ 1500m/1000m/3000m wurde (s.unten Resümee Ostern 2024).

Relativierend sei hier aber noch ergänzt, dass ich nach der Operation und erfolgter Reha das Training betreffend wirklich erlernen musste, meinen „Tiger im Käfig“ zu zähmen. Vor allem, um dem Körper Chancen zu lassen, eigene Rezeptoren zur Selbstheilung aktivieren zu können, um diese dann effektiv zu unterstützen.      

Unter anderem bedeutete das:                                                  

Erstes, vorsichtiges 10 km-Inliner-Training erst 100 Tage, erstes Radfahren 150 Tage, erstes Eisschnelllauf-Training 209 Tage nach der  am 13.02.2017 erfolgten OP.                                                

Den seit den 1970er Jahren „intensiv gepflegten“ Dauerlauf (10 km unter 35min, Marathon unter 3h) nahm ich in „Joggingbelastung“ allerdings erst Anfang 2019 wieder auf.               

 

UND: Obwohl ich durch die Erkrankung schon im Oktober 2017 hätte in den Ruhestand treten können, beschloss ich – wie im Kollegium schon viele Jahre vor der Erkrankung angedeutet – nicht „regulär“, im Oktober 2019 „in Rente“ zu gehen, sondern erst zum Ende des Schuljahres 2019/2020.

Direkt am ersten Unterrichtstag nach meiner Rückkehr von den Masters-WM der Allrounder in Collalbo/Italien, wurde der erste Corona-Fall in Deutschland festgestellt.                                      

Am Freitag, den 13. März 2020 begannen in NRW die ersten, verfrühten „Corona-Osterferien“.

Am 26. Juni 2020, dem Letzten Schultag in NRW und auch meinem letzten Schultag, begann mein „Unruhestand“. Nach 34 Schuljahren. Oder auch ganz zufällig genau nach 12.345 Tagen seit dem 8.9.86 im Dienst an der Rudolf Steiner Schule Bochum. Die ersten Monate der Corona-Pandemie begleitete ich an der Rudolf Steiner Schule also noch aktiv mit.

Ich beneide alle Lehrer weltweit nicht um ihre „neue“ Erfahrung im Umgang mit den neuen, pandemiebedingten Herausforderungen. Die Kinder/Heranwachsenden indes tun mir leid.

Bei meiner Verabschiedung aus dem Kollegium sagte ich am 26.Juni 2020 sinngemäß: „Ich muss jetzt konsequent in den „Unruhestand“ treten, um dort ausprobieren zu können, ob manche Dinge, die mir schon lange im Kopf herumschwirren, endlich „an der Zeit“ sind.                                                          

Meiner Schule bleibe ich natürlich weiterhin verbunden. Aber von einem anderen Blickwinkel aus.

Das „Ausprobieren“ fand und findet seitdem in vielerlei Hinsicht  „im JETZT“ statt.

Die schon für 2020 geplante und unmöglich gewordene zweite, ausgedehntere Islandtour war offenbar erst 2021 „an der Zeit“.

„Meine“ Schule war übrigens beim Stadtradeln im Mai 2021, an dem ich mich in Vorbereitung auf Island als Ehrengast beteiligte, und ganz „ohne Elektroprothese“ auf meinem Trekkingrad 1954 km an 19 Tagen zurücklegte, überragend erfolgreich… 

Nachtrag Ostern 2024

Mein Trainingsaufbau veränderte sich nach der postoperativen Reha und dem beruflichen Wiedereinstieg zum Teil. Die Covid19-Pandemie hatte indes nur einen geringen Einfluss auf meine Gesundheit. Das Virus erwischte mich zwar im Spätsommer 2022, ich blieb aber nahezu symptomfrei. Vielleicht waren die bis zum 1. Juni 2021 erfolgten vier Impfungen meinem Körper besonders hilfreich?!…

Sportliche Erfolge sind immer vergänglich. Und ich werde auf dem Eis über 5000m nie wieder so schnell sein wie bei den Masters-WM 2011 auf dem „Olympic Oval“ im kanadischen Calgary, als ich mit 56 Jahren nach 7min, 43s die Ziellinie erreichte und dabei um fast 8 s schneller war als Viktor Kosichkin (1938-2012), der sowjetische Olympiasieger von Squaw Valley 1960 über diese Strecke, damals genau an seinem 22. Geburtstag.

Für die Zeit von 2019 – 2024 kann ich als größte Erfolge im Mastersbereich zwei vierte Plätze bei Sprint-WM 2022 (Inzell/GER) und 2024 (Baselga/ITA) über 500m/1000m benennen sowie die Plätze vier und fünf bei den Allround-WM 2019 (Bjugn/NOR) und 2024 (Enschede/NED) über 500m/1500m/1000m und 3000m.

Zweimal nahm ich auch an den WWMG teil (Winter World Master Games – inoffizielle Olympische Winterspiele der Masters). Jeweils über die Einzelstrecken von 500m, 3000m, 5000m, 10000m.

Meine Platzierungen: Innsbruck 2020: 7, 8, 5, 4.

                                             Baselga 2024: 4, 5, 1, 2.

Radtouren mit Reisegitarre: 2021 s. Waldorf on the Road   V

                                      Juni       2023 s. Waldorf on the Road VI

                                      Juni       2024 geplant WOR VII(Irland)???