Montag, 18. Juli: Hnjótur – Stykkishólmur

25. September 2016 Marsollek

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Die Etappe auf der Islandkarte ist insofern ungenau eingezeichnet, als dass es keine Direktfähre vom Látrabjarg nach Stykkishólmur gibt und ich wieder mit  „Baldur“ unterwegs sein werde. Verdeutlicht werden soll, dass die Rückfahrt vom westlichsten Punkt Islands (Europas?) beginnt…

Aus dem Reisetagebuch:

Montag, 18. Juli 

Eine Drossel verfängt sich morgens am Rad zwischen Flaschenhalter und Flasche. Vorsichtig ziehe ich die „Balance“-Flasche heraus und befreie den verschreckten Sondergast…

Da mich Schafe um 4.30 Uhr wecken, fahre ich bereits um 5.20 Uhr los. Vielleicht schaffe ich die Fähre nach Stikkisholmmúr um 12.00 Uhr noch… Die nasse Wäsche muss die nächsten 25 km im Plastikbeutel staubgeschützt mitfahren.

Ein stark „herangezoomter“ Blick über den Fjord auf Patreksfjörður

Ein etwas „besserer“ Streckenabschnitt, etwa 50 m über dem Meeresniveau – natürlich ohne Leitplanke – aber mit „Hinweis“, sich der Böschung an dieser Stelle nicht zu nähern. Es könnte bei motorisiertem Gegenverkehr eng werden…

Zum Glück begegne ich auf der Schotterstrecke nur 3-4 „unbeweglichen“ Fahrzeugen.  

Ein Happy Campers „schläft“ an eine Ausweichsstelle am „Straßen“rand, immer wieder sehe ich aber auch aussortierte, „gewordene Immobilien“:

Schaufelbagger, Landmaschinen, LKW, PKW, Trecker, Anhänger usw. finden in der Landschaft unweit der Straße, wie überall in Island (und wie schon erwähnt) ihre letzte „Ruhestätte“ zum Verrosten…

Küstenseeschwalben ruhen nicht, sie versuchen ihr Revier, das ich wieder durchkreuze mit lautem Gezeter zu verteidigen, fliegen mich an, aber eher „friedlich beobachtend“, stürzen sich nicht auf mich herab, bleiben auf Abstand. Vielleicht erinnern sie sich noch an den Radler von der Hinfahrt vorgestern?…

Fast eineinhalb Stunden später, am Parkplatz beinahe am Ende der Schotterstrecke,  „schläft“ im Bergschatten ein großes französisches Wohnmobil. 

Dieser Parkplatz entsorgt eine weitere „gewordene Immobilie“: Hier „schläft“ seit 1981 das erste isländische Schiff aus Eisen, erbaut 1914 in Norwegen.

Das Betreten des Decks ist wegen Unfallgefahr verboten. Wie Schade, ursprünglich wollte ich hier frühstücken…,

…da die Bordkantine auch geschlossen sein dürfte, „um die Ecke“, hinter dem vor mir liegenden Berg aber schon die Sonne scheint, radle ich noch 20 Minuten weiter, um ihre Strahlen genießen zu können. Schön, dass ich bald wieder Asphalt unter den Rädern haben werde…


Am Parkplatz an der Straßengabelung zum Patreksfjörður 

kräftige ich mich bei herrlichem Sonnenschein für die Serpentinenstrecke, verteile meine nasse Wäsche zum Trocknen hinten auf das mit den Gummibändern gesicherte Gepäck und klettere anschließend in nicht mal einer Stunde den 7 km langen, fast konstant 9% steilen Anstieg hoch. Der Verkehr wächst „mächtig“ an, fünf Fahrzeuge überholen mich während des Kletterns – wahrscheinlich von Patreksfjörður kommend – , während ich auf der Schotterstrecke zuvor ganz allein unterwegs war. Überrascht staune ich über die übergroße, menschenähnliche Warte, die, fast an höchster Stelle des Anstiegs errichtet, die Hochebene „bewacht“. Sie war auch (bei der Abfahrt) vor zwei Tagen nicht zu übersehen. Noch habe ich sie gar nicht erwartet…

Autofahrer finden hier leicht einen Parkplatz, um Erinnerungsfotos zu machen.

Fernradler natürlich ebenfalls…, nur genießen sie dann nach dem über einstündigen scheinbar nicht enden wollenden Kurbeln den Berg hoch auf dem Hinweg zu den Papageitauchern – wie ich vorgestern – gerade die in Gang gekommene Schussfahrt und „schonen“ die Bremsen.

Bei der Rückfahrt hingegen erinnern sie noch, dass ihnen die verbliebene Anstiegsstrecke vielleicht einen weiteren Kilometer lang Kräfte abverlangen wird, die leichter im Zuge des währenden Kletterns zu mobilisieren sind als nach einer Pause „mitten am Berg“ und kurbeln weiter, wie ich jetzt…    

Die Abfahrt geht mit 60 km/h zügig voran, die Strecke zur Fähre ist bei wechselndem Wind aber noch weit. Ich erkenne entsorgte Landmaschinen, den kleinen Laden – jetzt natürlich noch geschlossen, meinen Badeplatz…

Es ist wieder Ebbe: Diesmal aber ist keine Zeit zum Baden!

Dass „aufgewachte“ französische Wohnmobil überholt mich.

Hoppla!, auch die beiden Amerikaner tun das etwas später, winken mir aus dem geöffneten Fenster zu, fahren langsam vorbei, wünschen gute Reise und Glück.

Ich genieße die Landschaft wie bei der Hinfahrt, die Strecke „zieht sich aber“. Zur Fähre schaffe ich es  aber, bin sogar schon um 11.30 Uhr (hungrig) da. Und „Baldur“ ist noch gar nicht da.

Aber eine lange Warteschlange am Ticketverkauf, keine Zeit sich noch an der Imbissschlange anzustellen.

„Baldur“ kommt, entlässt eine Fahrzeugschlange und Rucksacktouristen.

Ich „schlängele“ mich an der wartenden Autos und Motorrädern vorbei.

Mein Rad wird wieder in einer Box gesichert, um 12.15 Uhr geht es nach Plan in Richtung Stykkishólmmur. Beim Aufstieg aufs Schiff treffe ich noch zwei ukrainische Rucksacktouristen aus Dnipropitrovsk, die bis zum Krieg in Donezk lebten. Erinnerungen an die Schüleraustauschaktivitäten „meiner“ Schule mit Bochums Partnerstadt, die ich seit 1989 mitorganisierte werden wach. Krieg in der Ukraine – damals und bis vor wenigen Jahren kaum vorstellbar… 

Leider ist der Bordimbiss nicht in Betrieb, wahrscheinlich schaffte es die Crew noch nicht, die bei der Hinfahrt schon klemmenden Rollos der Theke zu reparieren.

Ich höre einen Jungen mit Rucksäckchen und Schlafkissen, der offenbar allein unterwegs ist, telefonieren. Isländisch?

Talar þú íslensku?

Ómar Örn Ómarsson aus Reykjavík ist 15, kommt nach den jetzt nur noch zwei Monate langen Ferien in die zehnte Klasse. Ómar (gesprochen Oumar) ist begeisterter und talentierter Fußballspieler und muss wohl, wenn ich es recht verstanden habe, gleich nach der Rückkehr nach Reykjavik zu einem Spiel nach Akureyri aufbrechen. Zwischendurch ruft er seine Eltern an und berichtet von mir, seiner neuen Bekanntschaft. Sein Pappi (so heißt Vater auf Isländisch) sucht auch gleich mein Blog auf. Ómar hat auf seiner Kurzreise einen der 50 in Island wieder heimischen Seeadler gesehen. Er ist ganz stolz und glücklich, weil er in seinem Namen (Örn) ja auch den Adler mitträgt…Bordschmuck auf „Baldur“

Pilot möchte Ómar später werden und internationale Flüge lenken. Fahrrad fährt er aber auch gern und bewundert meine Reiseart, weil sie viel preiswerter ist, als im Hotel zu übernachten. Und man sieht viel mehr. Wir unterhalten uns über Vogelfelsen (ich zeige im Bilder davon und auch von meinen Traumzeltplätzen), unterhalten uns über Schule, über Ferienreisen und so weiter. Nur ganz selten muss ich auf englisch nachfragen und bin glücklich, schon soviel in seiner Muttersprache verstehen zu können. Eine „Glücksbegegnung“.

Zwischenhalt auf Flatey, diese Kleininsel ist laut Ómar sehr sehenswert…,  muss ich mal einen Zwischenhalt einplanen…

Ómar ist ein geschickter, aufmerksamer Erzähler und kann mir in seiner Muttersprache sehr flexibel zum Verstehen seiner Gedanken verhelfen. Er hat zwei jüngere Brüder und freut sich darauf, bald mit 

der ganzen Familie für 3 Wochen in Frankreich in Nizza, Paris und anderen Orten durch Wohnungstausch einen dreiwöchigen Urlaub machen zu können.

Die dreistündige Schiffsfahrt vergeht wie im Fluge: Danke lieber Ómar, für die zweistündige Supernachhilfe in Isländisch, viel Glück für die Zukunft und viel Freude beim Entdecken dieses Blogeintrages…

… Ich muss länger warten, bis mein Rad aus der Box freikommt. Zunächst will ich essen gehen. Da aber die Sonne scheint und der Wind bläst, ich noch viel nasse Wäsche habe, verproviantiere ich mich im nächsten Supermarkt (Bónus) und radle zu meinem am Wochenende übervoll gewesenen Campingplatz.

Wie anders das Bild jetzt, am Montag: schätzungsweise nur ein Zwanzigstel  vom Platz besetzt, am letzten Freitag war aber alles übervoll. Offenbar hat ganz Reykjavik das letzte Wochenende hier verbracht…

Ich baue mein Zelt an gleicher Stelle auf wie vor 3 Tagen, „guatsche“ mit Holländern, die in der Nähe  der belgischen Grenze wohnen, mit Mietauto und Zelt reisen – und natürlich von Island fasziniert sind – und radle dann zur Rezeption.

Der junge Mann erkennt mich wieder und ich „guatsche“ ihn zu. Es macht ihm offensichtlich Freude, mit einem Ausländer Isländisch reden zu können…

Auf meinem „Feldherrenhügel“ steht außer den Niederländern auch ein Berliner Campingbus.

Den Mann (Arzt im Ruhestand) spreche ich an und erkundige mich nach den Überfahrtkosten.

Sie entschlossen sich ganz kurzfristig, für 5 Wochen nach Island zu reisen, sodass sie auf der Hinfahrt nur eine 6 Personen Kabine bekamen. Inklusive Verpflegung, Überhöhe des Fahrzeugs und Doppelkabine bei der Rückfahrt zahlten sie etwa 2100 € und haben ihr eigenes bekanntes Fahrzeug, das sie schon überall hinfuhr „bei sich“. 

Das rechnet sich, angesichts der Preise für Mietautos in Island. 

Wir unterhalten uns länger, Sie begeistern sich schnell für die Möglichkeit, Papageitaucher ganz aus der Nähe und ganz ohne sportliche Anforderungen sehen zu können.

Beim Essenzubereiten spricht mich Cathy, eine recht „kräftige“ Australierin an. Sie ist seit 2 Monaten per Rad im südlichen Island unterwegs und ganz überwältigt. Die Wärme fehlt ihr, allerdings lebt ihr Bruder auf Tasmanien, wo jetzt Winter ist und gleiche Temperaturen wie auf Island herrschen.

Cathy will noch für paar Wochen „in die Wärme“ nach Deutschland. Und in die Niederlande, wo sie offenbar Verwandte hat…

Der Nachmittag und Abend vergehen in willkommener Muße.

Die Wäsche ist trocken.

Die „praktikerprobte“ Fahrrad-Zelt-Wäscheleine ist Klasse. Lasse ich wohl patentieren. Hi hi…

Das Nichtstun tut gut.

…Die Restspaghettiportion, die ich spätnachmittags verdrücke, ist wohl die größte, seit einem Wettessen 1974(?) anlässlich der Abifeier meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau

(…der meine Extremsolotouren der letzten 10 Jahre unmöglich zuzumuten wären, die mich vor, während und nach diesen aber, wie in der Planung neuer Vorhaben,  aus Kenntnis meiner „Besonderheiten“ und jahrzehntelanger, gemeinsamer Reiseerfahrungen kompetent, schier unerschöpflich – und ganz sicher unbeschreiblich – stützt. Danke und (hier) nur ein: „UNENDLICHHOCHUNENDLICH“…)

 als ich gegen Bernd Bonnermann und Herwart Küsell aus Wetter an der Ruhr antrat und symbolisch gewann, weil ich noch zwei der drei vereinbarten Trinkpausen in Reserve hatte, während sie ihre schon verbraucht haben.

Man ist doch in der Jugend – UND JETZT IM GESETZTEREN ALTER – doch vor keinem Blödsinn gefeit!…

(Schlafe dennoch gut, muss aber ausnahmsweise „nachts“ um halb zwei raus. Bei starkem Ostwind und schönem Himmel. Der Vollmond hängt hinter den Wolken am Horizont im Süden, die Sonne unter dem Horizont im Norden). Island, frábær (fantastisch)!

Zum ersten Mal erlebe ich hier den Anschein einer Dämmerung. Farben sind aber noch deutlich zu erkennen…

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