Sonntag, 17. Juli: Hnjótur-Látrabjarg-Hnjótur: Unter Papageitauchern und 2CV-Enten/46 km

13. September 2016 Marsollek

Islandkarte 22-23

Aus dem Reisetagebuch: 

Sonntag, 17. Juli

Der Wecker weckt mich vor 6 Uhr.

Die Nacht war windig, der Himmel verzog sich zwischendurch.

Zeit zu schreiben.

Nieselregen… 

Der Niesel hört auf, ich mache mich fertig für die Radtour zum Látrabjarg.

Kurz oben in der Küche treffe ich noch die beiden Finnen und – das gibt’s doch gar nicht! – Joachim, meinen fränkischen Bekannten von gestern.

„Ja die Papageitaucher lassen sich gern fotografieren“, sagt er begeistert, „als ob sie warten würden, wann du endlich abdrückst“…,

Joachim will heute mit Frau und Tochter weiter nach Norden. Gestern haben sie sich mittags hier im  Haus, das etwa 7 Zimmer hat ein Nachtquartier reserviert und sind dann zu den Vögeln  gefahren. Dass wir uns gestern nicht getroffen haben lag wohl daran, dass sie lange bei den Vögeln geblieben sind. 

„Der Weg wird noch schlimmer werden, die ganzen 23 km lang geht es immer hoch und runter“, erfahre ich noch von ihm…

Das trockene Zelt verpackt, mache ich mich mit vollem Gepäck auf zu den Vögeln.

Mitten am ersten, größten Anstieg fällt mir ein, dass ich ja das Gepäck auch hätte zurücklassen können, da ich zwischendurch beschloss, heute wieder an selbige Stelle zurückzukehren.

Nach bewältigten 300 Höhenmetern auf Schotterschlaglöchern mit mindestens 10% Steigung macht man das aber nicht!… Die Sonne hebt die Wolken schon soweit, dass ich nur am Ende des ersten Anstiegs in den Wolkennebel „getunkt“ werde. Kaum Pflanzenbewuchs auf der Hochebene.Es geht hinab, um bald wieder fast auf Wolkenhöhe zu steigen.

Blick von oben auf Breiðavik abseits der Strecke, 13 km östlich des Látrabjarg.

Látrabjarg???

Denkste!

Ich wähnte mich hier fast am Ziel, hatte aber noch einige Kilometer vor mir mit einer sehr steilen Serpentinenabfahrt von etwa 300-400 Höhenmetern (unten) 

mit anschließendem Anstieg auf vielleicht 200-300 m über dem Meeresspiegel… 

Etwa zwei Kilometer vor dem Anstieg zum Látrabjarg, direkt an der Küste liegt Hvallátur, der laut Eigenbezeichnung der Einwohner „westlichste bewohnte Ort Islands“. Einige Männer sitzen auf der Südterrasse  ihres Hauses, genießen die Sonne und grüßen mich freundlich und überrascht. Manchmal grüße auch ich als Erster.

Sehr unfreundlich begrüßt und begleitet werde ich am Ortsende von Küstenseeschwalben, die sich wild kreischend auf mich zu stürzen versuchen – bin so etwas schon gewohnt – der Spuk ist nach 100 m vorbei…

Kurz vor dem Aufstieg sehe ich den auf meiner wasserfesten Landkarte verzeichneten „Campingplatz“: Er besteht lediglich aus einer kleinen Baracke mit zwei Toiletten und Mini- Waschmöglichkeit (Hinweis: kein Trinkwasser!) sowie einer größeren flachen Ebene um das Häuschen herum   auf der man sein Zelt aufschlagen könnte. Heute mag das niemand tun. Ich auch nicht! 
Scharfe Haarnadelkurve auf der Abfahrt zu Hvallátur 

Angekommen!

Durch Joachims Vorwarnung war meine Hoffnung zwar weg, nach dem Anfangsaufstieg auf einem beständigen Hochplateau bis zum Látrabjarg gelangen zu können, andererseits wusste ich, was mich erwartet und war nach dreieinhalb Stunden tatsächlich da, kurbelte mich zwischen den parkenden Autos (darunter im „fliegenden Wechsel“ zunächst einer, dann vier bis zehn 2CV-Enten) vorbei, die mich vorher gehörig mit rötlichem Staub einpuderten bis zur kurzen Aufgangstreppe hinauf und parkte etwa 30 Höhenmeter über dem Parkplatz und 50 Höhenmeter vor den ersten vermuteten Vögeln meinen Stori-Karl.

Pause!

Helinox-Sessel in wenigen Sekunden aufgebaut, 

Tee eingeschenkt,

Klick- gegen Laufschuhe ausgetauscht,

etwa 50 g Marzipan und eine halbe Schokolade als Stärkung eingenommen.

Immer wieder Gespräche mit Vorbeikommenden (Isländern, Deutschen, Franzosen, Niederländern, US-Amerikanern, Schweizern) die fassungslos das bepackte Rad anblicken und sich nach meinem Reiseverlauf erkundigen.

„Fliegender Staubwechsel“: Ein Fahrzeug kommt, das andere eilt schon zurück. Manche Fahrzeuge überholten mich auf der heutigen Fahrt und kamen mir nach kaum zwei Stunden wieder entgegen: „Mann, haben es doch manche auch auf Island eilig!“, denke ich des Öfteren. Allerdings respektieren fast alle den Radler auf den Steigungen und während der flachen Abschnitte, betätigen die Lichthupe oder Hupe, bleiben – nicht nur heute – an kritischen Stellen mitunter sogar stehen, heben beide Daumen oder applaudieren einfach. Schön!

Weniger begeistert beteiligen sich daran die (meistens männlichen) Lenker mir entgegenkommender PS-strotzender „Allradfahrzeuge auf Abenteuer-Expeditionskurs“, während mir deren (meistens weibliche) Beifahrerinnen fast immer ein sehr freundliches Lächeln schenken, das ich gern erwidere…

Mein Reiselogo auf dem Jackenrücken mit Islandkarte und „SPRICHST DU ISLÄNDISCH“ in Landessprache tut auch auf der ganzen Insel seinen Dienst: Von hinten kommende Autofahrer warten mitunter geduldig vor unübersichtlichen Kurven mit Anstiegen, freuen sich, wenn ich sie mit einer ruhigen Handbewegung vorbeiwinke und bedanken sich auch mal mit einem kurzen Hupsignal dafür.

SONDERFALL (wird auf der Rückfahrt vom Látrabjarg Realität): Gar keinen Respekt scheinen adrenalingesteuerte, darth-vader-helm-bewehrte Fahrer gemieteter Quads mit Überrollbügel vor Radlern zu haben, vor allem, wenn sie im Pulk auftreten:

Sie brettern die Kurven mit Power-Slide und aufheulendem Motor im „PASS-AUF-SONST-MACH-ICH-DICH-PLATT-MODUS hoch, dass der Schotter nur so fliegt…, die Staubwolke benötigt eine halbe Minute, um sich zu verziehen…

Da schießen selbst mir anarchistische Gedanken durch den Kopf: Wie gern würde ich doch den Burschen durch eine kleine Manipulation das Fahrzeug außer Betrieb setzen…

Aber auch für den Motorausfall ist vorgesorgt: Nach einiger Zeit rollt mir ein PS-Monster mit Riesenanhänger, einem aufgeladenen Quad und Platz für mehrere weitere entgegen. Der Chaffeur schenkt mir ein sehr freundliches Lächeln. Na also!…     

Die Vögel übrigens, auch Alke, besonders die Papageitaucher und selbst die Lummen aber auch Möwen, welche etwas tiefer oder weiter entfernt ihre Nester haben, sind wirklich wenig scheu und fliegen nicht gleich weg, selbst wenn man sich ihnen ganz ruhig und bei Gelegenheit mit der Kamera  bis auf 50 cm nähert. Eine einmalige Gelegenheit, für auch ältere, nicht sehr sportliche, motorisierte Menschen, am Látrabjarg (gesprochen Lautrabjarg) zu besonderen Bildern/Erlebnissen zu kommen. 

Ach ja, Gefahren lauern den Vögeln doch auf: ich sah Kolkraben mit Beute im Schnabel inmitten verschreckter Vögel wegfliegen. Sicherlich holen sich auch Möwen oder Raubmöwen und andere Gelegenheitsräuber ihren Anteil bei diesem so prächtig gedeckten Tisch. 

Unbeschreiblich!!!

Wem die obigen Bilder als Eindruck eines der größten Vogelfelsen der Welt genügen, der mag das kommende „übersehen“, weiter unten die abschließenden Sätze zum heutigen Tage lesen und auf die letzten Berichte zu meiner Island-Radtour warten.

Wer aber eintauchen möchte in eine Fülle von Farben und Eindrücken der Vogelwelt einer Weltgegend, die er wahrscheinlich nie selber besuchen wird und welche unbeschreiblich ist, der wird seine Freude haben an der nun folgenden Bilderflut, auch wenn sie doch nur sehr dürftig die wahre Begegnung mit den Vögeln widerspiegeln kann:

Der westlichste Punkt Europas, nur etwa 200 m von Stóri-karl. meinem Fahrrad entfernt.

Vor der Rückfahrt nach Hnjótur.

Bei den Vogeln war es tatsächlich unbeschreiblich schön, ich kletterte den 14 km langen Berg etwa 3 km weit aufwärts (einige (Autotouristen) gingen noch weiter) und machte mich nach etwa 3 Stunden am Látrabjarg per Rad auf die Rückfahrt, schon wohl wissend, dass sie außer dem mehrere hundert Meter hohen Extremanstieg nach etwa 3 km, leichter zu bewältigen sein wird als die 23 km Hinfahrt.

Da war doch was????? Ja, die fünf Quads sind schon weg, die Staubwolke und das Röhren der Motoren sind aber noch länger zu sehen und zu hören…

ZUR ERINNERUNG: WAR WEITER OBEN SCHON ZU LESEN: (SONDERFALL (wird auf der Rückfahrt vom Látrabjarg Realität): Gar keinen Respekt scheinen adrenalingesteuerte, darth-vader-helm-bewehrte Fahrer gemieteter Quads mit Überrollbügel vor Radlern zu haben, vor allem, wenn sie im Pulk auftreten: Sie brettern die Kurven mit Power-Slide und aufheulendem Motor im „PASS-AUF-SONST-MACH-ICH-DICH-PLATT-MODUS hoch, dass der Schotter nur so fliegt…, die Staubwolke benötigt eine halbe Minute, um sich zu verziehen…

Fast zurück in Hnjótur. Die Wolken sind nahezu verschwunden, kein Nebel, Abfahrt statt steiler Auffahrt wie zu Beginn der Etappe: Das hat was…

Vorsicht! Der mit  Schotter, Schlaglöchern, aufragenden Steinen „gewürzte“ Weg erlaubt Fernradlern aus Selbsterhaltungstrieb nur „Schussfahrten“ in gemäßigtem Tempo. So „fliegen“ auch einige 2CV-Enten mit gemütlichen „Töff-Töff-Töff“-Geräuschen des bergab bremsenden Motors an mir vorbei. Die letzten zwei „schwammen“ per Schiff aus der Schweiz herbei…

Die Ansammlung von ausrangierten Fischerbooten und Flugzeugen „mit Hangar“ in Hnjótur fiel mir schon gestern auf, als ich ganz zufällig „meinen“ Zeltplatz, den ich gerade wieder fast erreicht habe, entdeckte. Es ist ein Museum, das ich dieses Mal nicht mehr, das nächste Mal aber ganz sicher besuchen werde.

Hier zur Zwischeninformation ein paar Sätze aus meinem mitgeschleppten „DUMONT-Island-Reise-Taschenbuch“ (danke sehr Kahina!): „In Hnjótur gibt es ein bemerkenswertes Museum zu sehen. Egill Ólafsson sammelte Alltagsgegenstände der Region, vor allem alles zum Fischfang, und auch einige Flugzeuge (Juni-Sept. tgl. 10-18 Uhr, www.hnjotur.is). Etwas oberhalb steht ein Mahnmal für die britischen Seeleute, die in den gefährlichen Strömungen vor den Steilküsten untergegangen sind.“ 

Die „Schweizer Enten“ interessieren sich durchaus für Egill Ólafssons  Museum, sodass ich die dort ausgestiegenen Besitzer nach dem Baujahr der Vögel frage. „Nicht zu beantworten!“, sagen mir die Piloten, „es sind Teile verschiedener Modelle aus mindestens zwei Jahrzehnten zum Ganzen zusammengefügt worden“…

Wozu noch ein PS-Monster, wenn eine „Töff-Töff-Ente“ auch überall hinfliegt – weltweit:

„Unser“ erstes Fahrzeug war 1973 ein 2CV mit 16 PS. Ich kaufte die Ente fast schrottreif für 200 DM(!), ein Freund brachte sie mittels Schrauber- und Schweißtechnik durch den TÜV.

Nur 5l Benzinverbrauch je 100 km waren für das Cabrio schon damals kein Problem…, eher aber die 80 km/h, die der Vogel als Höchstgeschwindigkeit erreichte, weil das Gehupe der LKW-Fahrer bei Autobahnanstiegen nervig war…

Winfried, der frisch pensionierte Triathlet, dem ich vor Wochen in Egillsstadir begegnete und der mich an meine Zeit als aktiver Skateboardwettkämpfer erinnerte erzählte mir, auf seiner Fähre von Hirtshals nach Seyðisfjörður seien auch acht 2CV-Enten dabei gewesen. So wunderte es mich auch nicht, dass mir diese Enten bei meiner Tour durch Island immer wieder begegneten. Bis es zu viele wurden. Viel zu viele. Hunderte aus bestimmt zwanzig verschiedenen Nationen. Auch aus Irland, sogar aus Russland!!!

2CV-Enten sind wahre Zugvögel mit buntestem „Blechgefieder“ und interessantesten Ausformungen: Die wahren „Papageitaucher“ unter den „Geländefahrzeugen“.  Deren Besitzer veranstalten regelmäßig UND WELTWEIT(!) Treffen und Fernfahrten mit bis zu mehreren TAUSEND Fahrzeugen. Und 2016, vom 3.-30. Juli auch wieder durch Island (Das recherchierte ich erst nach meiner Rückkehr). Da kriegen die „armen“ PS-Monster-Fahrer auf einem Parkplatz am Látrabjarg neben einem solchen Exoten, der mit weniger Leistung dennoch angekommen ist, leider „keine Schnitte der Bewunderung“ ab…

„Die 2CV-Ente ist kein Fahrzeugtyp, es ist ein Lebensgefühl“, las ich irgendwo.

Stimmt, und wir gehörten 1973 über drei Monate dazu, konnten daran nippen. Unsere Ente wurde für 750 DM verkauft, als mir mein Vater ein  „Bochumer“ Fahrzeug, seinen alten Opel-Kadett Baujahr 1965 (PS-Monster mit 45 Pferdestärken) schenkte:  Jeder Popel fährt ´nen OPEL… Ich auch, seit weit, weit mehr als einer Million Kilometern…

Tatsächlich, bereits nach zweieinhalb Stunden bin ich wieder an „meinem“ Campingplatz mit Koch-, Dusch- und Lademöglichkeit für IPhone etc., Das Letzte diesmal sehr hilfreich, da bei den Klettertouren und vorsichtigen Abfahrten das Laden per Raddynamo nicht sehr effektiv war, mein „Apfel-Taschen-Telefon“ (danke für den Begriff, lieber Stefan!) aber viel Energie benötigte, um Bilder und Kurzvideos meiner gefiederten „Top-Modells“ aufzunehmen…

Ich baue das Zelt auf, überreiche draußen der gerade Wäsche aufhängenden Wirtin die 1500 Kronen Miete, koche diesmal zwei Dosen mexikanische Hotchillibohnen mit Massen von Röstzwiebeln und verquatsche mich mit einem jungen amerikanischen Pärchen aus Minnesota, das per Mietauto/Zelt begeistert unterwegs ist. Beide sind Mathematiklehrer.

Natürlich genießen Sie Island, machen sich aber große Sorgen um die Entwicklung in ihrer Heimat mit Rassenunruhen, Polizistenmorden und einer schwierigen „allgemeinpolitischen“ Situation.

Zwischendurch erfahre ich, dass das Haus in dem ansonsten absolut funkstillen Ort über eine recht gute, kostenfreie WLAN-Verbindung zur Außenwelt verfügt(!!!) und nutze die Möglichkeit etwas zum Bilderverschicken.

Zwischendurch erscheint auch ein weiteres junges Pärchen aus Polen im Haus. Sie Jazz-Sängerin und seit 3 Jahren jeweils für 3 Monate im Sommer auf Island freiberuflich erfolgreich im Einsatz, zeigt ihm, erstmalig in Island zwei Wochen lang die Besonderheiten der Insel.

Isländisch können beide nicht, aber Englisch. Wir einigen uns zu deren Freude auf Polnisch und tauschen bestimmt eine halbe Stunde lang unsere Gedanken aus. Russisch können sie nicht. Das ist in Polen inzwischen passé.

Direkt nach meiner Rückkehr von den Vögeln mache ich noch eine Großwäsche, um meine rötlich leuchtenden Sachen zu entstauben, in der Hoffnung, dass sie vom Nachtwind getrocknet werden.

Pustekuchen!, die ganze Nacht herrscht Windstille…

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