Samstag, 16. Juli: Stykkishólmur – Brjánslækur – Kleinfaheiði – Hnjótur/70km

11. September 2016 Marsollek

Islandkarte 21-22

Auch wenn es gestern 175 km mit vielen Höhenmetern wurden: Durch den sich im Laufe der Strecke günstig drehenden Starkwind, der mich fast beständig anschob – und auch als Seitenwind über vielleicht 30 km nicht besonders störte – zähle ich diesen Tagesabschnitt zu den eher leichten Etappen meiner Island-Rundtour.                                                                                                        Hätte der Wind hingegen (hypothetisch angenommen) bei gleicher Intensität   immer in entgegengesetzter Richtung geblasen, so wäre ich „aus langjähriger Erfahrung“ auch im Ziel angekommen, ich hätte aber sicherlich die ganze „Nacht“ durchradeln müssen, um pünktlich zur Morgenfähre Stykkishólmur-Brjánslækur zu gelangen…                                                                                                                                 Island ist unberechenbar…, ich muss bald wiederkommen…

Ich wache bereits gegen 4.00 Uhr auf, beschließe aber „auszuschlafen“.                                   Der ganze vollgestopfte Campingplatz schläft noch, als ich gegen 6.00 Uhr meine kleine Runde mache. Ein dackelgroßer „Wachhund“ bellt mich aus seinem Versteck unterhalb eines Wohnwagens an…

Es will wieder ein sonniger Tag werden.

Schön!                                                                                                                                             Ich schreibe Tagebuch und lese etwas über „meine“ Papageitaucher, freue mich auf die Überfahrt. Heute sind wohl nur gut 90 Kilometer auf der anderen Seite des Breiðafjörður zu bewältigen. Und ich habe Zeit.

Gar nicht so einfach, sich daran zu gewöhnen, dass keine sehr langen Strecken mehr zu bewältigen sind an den mir noch verbliebenen Reisetagen.

Gegen 8 Uhr erreiche ich den Hafen. Am Schalter Gedränge. Viele Deutsche. Ich werde vorgelassen. Alles geht zügig voran.                                                                                           Mein Rad verschwindet nicht wie erwartet im (kleinen) Schiffsbauch von „BALDUR“. Es wird in einer Box gesichert und per Kran auf das Oberdeck gehievt. Der für die korrekte Beladung zuständige „Schiffsoffizier“ gibt seine Anweisungen, alles passt!

An Deck lerne ich Joachim, Maschinenbauingenieur, Cécilia,  Bibliothekarin und deren Tochter Tamara kennen, die vor dem Studium noch einmal mit den Eltern verreist. De große Bruder ist nicht mit. wir führen ein nettes dreistündiges Gespräch, das sich zum großen Teil auch mit dem deutschen Schulsystem und seinen Nöten befasst.

Angekommen. Wunderbares Wetter. Zur Sicherheit fotografiere ich im roten Ticketpavillon in Sichtweite von „Baldur“ den Fahrplan, um meine Rückpassage besser planen zu können.

Ein schöner, welliger,kurvenreicher Kurs gibt beständig phantastischen Ausblicke auf den ruhigen Fjord frei mit seinen bei Ebbe „schlummernden“ Ufern.

Jeder „Guck“ ein Postkartenmotiv, egal ob man das Meer zur linken, oder die zerklüfteten Felsenformationen zur rechten Seite anvisiert. Kleine Weidestreifen mit Kühen, Schafen oder Pferden als „Puffer“ zwischen Straße und Berg, ein Bauernhof mit um ihn gruppierten Wirtschaftsgebäuden im Hintergrund an den Berg „geklebt“ akzentuieren alles zusätzlich.

Vor Begeisterung komme ich kaum voran, bleibe immer wieder stehen und bedauere die Autofahrer, die nicht überall anhalten können.

Selbst die „natürliche Entsorgung“ von Wirtschafts- und anderen Fahrzeugen, von Erntemaschinen, von rostfreien Milchzisternen oder -zentrifugen, von Straßenbaumaschinen, Hochseeschiffen(!) oder von Doppeldeckerbussen (ehemals als fahrende Kolonialwarenläden gebraucht) oder von rostenden, lange nicht mehr genutzten Blechdach-Lagerhallen, Viehställen, „langsam zerfallenden Steingebäuden“ – während der moderne Neubau der Nachfolgegeneration mitunter daneben steht – erfreut sich in Island großer Beliebtheit und „allgemeiner Verfahrenspraxis“ und hat nach Jahrzehntelanger „Open-Air-Lagerung/Reifung“ bei Wind, Vulkan und Wetter“ sogar etwas charmantes an sich (etwas „charmierendes“, würden unsere dänischen Freunde sagen)…

Gerade wenn man als Radler in den menschenleeren Ostgebieten Islands unterwegs war, freut man sich kurioser Weise mitunter über solch seltene „Spuren menschlicher Zivilisation“. Auch wenn sich die ursprünglichen Nutzer längst durch Versterben der ökologischen Verantwortung bezüglich solcher Vorgehensweisen entzogen haben dürften…

Nach knapp 30 km ein kleiner Laden mit Handarbeiten, Kunstgegenständen und wenigen Lebensmitteln, wie Eiern und Räucherfisch. Er ist für wenige Stunden täglich geöffnet. Ein nettes Gespräch mit der Verkäuferin.

Das Meer ist „ausgezogen“…

Nur ein paar Kilometer und einige oben beschriebene „Spuren menschlicher Zivilisation“ weiter nähert sich der Sandstrand bis auf etwa 100 m an die Straße heran. Eine kleine Kuhherde auf der anderen Straßenseite glotzt den Radler interessiert an. PKW können hier schlecht stehen bleiben. Der Milchbauernhof ist noch etwa einen Kilometer weit entfernt, eine Möglichkeit, motorisierten Touristen ein Meeres-Kneipbad zu ermöglichen etwa zwei Kilometer weit, ein riesiger mich erwartender Aufstieg etwas dahinter ist schon zu erahnen. Die Karte bestätigt, dass mich gleich eine Hochebene, die Kleinfaheiði in die Quere kommen wird. Da muss ich gleich hinauf.

Gleich?

Denkste!

„Fahrradparkplatz“ unweit einer durch die Ebbe freigelegten Sandbank…,
einhundert Meter seitlich der Straße…

Weißer Sandstrand auf Island, Badewetter.

Das Wellenbaden lasse ich mir bei dieser Gelegenheit doch nicht entgehen, auch wenn das Wasser bestimmt keine 10° C, vielleicht aber doch schon „warme“ 5°C erreicht haben dürfte.

HEEEERRRLICH!!! Kurz, erfrischend, herrlich!

Also: 2 Stunden Meeresurlaub mit ausgiebigem Spätfrühstück (das Schiffsbuffet war wegen defekten Rollos an der Theke nur sehr kurz geöffnet, ich kam nicht zum Zuge), ein kilometerlanger freier „Badestrand“ und anschließend: „Sonnen, Dösen und Entspannen im Klappsessel“, meiner neuen sehr lohnenswerten Luxusergänzung des Equipments nicht nur an diesem wärmsten Tag meiner Reise.

Paradiesisch! Papageitaucher&Co müssen sich noch etwas gedulden…

Attachment.pngDie „Privatsandbank“ verabschiedet sich…

Der „Badeurlaub“ endet, als die Flut sich dem Ufer nähert.

Weiter! Nach wenigen Kilometern beginnt der Anstieg – beständig 8% Steigung – und dauert eine Stunde und 5 Minuten. Geschätzt mehr als 4000 Kurbelumdrehungen im ersten Gang.

Gut dass ich mich unten so gut ausgeruht und versorgt habe!

Oben, auf dem höchsten Punkt der Kleinfaheiði bin ich trotz Kälte tropfnass.

Die Abfahrt kalt.

Gegenwind erwacht.

Unten angekommen ziehe ich mein nasses Shirt aus und den Alpakapulli an – eine Wohltat. Noch über 40 km liegen vor mir, als der Asphaltweg(Malbikleden) endet. Eine furchtbare Schotterstrecke mit Waschbrettrelief, Schlaglöchern, stärksten Anstiegen, unendlich viel Staub der vorbeizischenden Fahrzeuge und mit starkem Gegenwind folgt. Ich habe Angst um mein Rad.

Auf was habe ich mich da bloß eingelassen?!

Zwischendurch ein Flugplatz mit herrlich asphaltierter Landebahn. Wie gern würde ich jetzt dort entlang fahren…

Erfahrung hilft, einfach weiterzufahren, Kraftreserven sind allemal vorhanden. Stóri-karl hat schon schlimmere Herausforderungen gemeistert.

Ich male mir meine Ankunft heute Abend am Campingplatz direkt bei den Papageitauchern am westlichsten Punkt Europas aus. Die Kilometer schmelzen weg trotz der mitunter notwendigen Gehergeschwindigkeit angesichts der Schlaglöcher. Ich wechsle ständig die Straßenseite in der falschen Hoffnung, dort auf besseren Schotterbelag zu treffen. Küstenseeschwalben fühlen sich vom Radler gestört und greifen mitunter an – kein Problem, heute nur Scheinangriffe…

Ich sehe vor der langsamen Abfahrt den weiteren, mehrere hundert Meter hohen Anstieg auf der Schotterpiste vor mir: „Ach du Schande, das dauert dann wohl doch noch länger“, spukt  mir durch den Kopf und ich bereite mich mental auf die weitere Kletterpartie vor.

Plötzlich, ganz unvermittelt, wandelt sich die Schotterpiste in eine Asphaltstrecke um, ein ausgemustertes amerikanisches Flugzeug und zwei ausgemusterte Schiffswracks sind am Ende der Bucht wenige hundert Meter vor mir vor einem großen „Hangar“(?) auszumachen.
Das Schönste aber: Beim Universum nicht bestellt aber sehr erwünscht, taucht ein provisorischer Camping mit Übernachtungszimmern, Toiletten, Dusche und einer großen vollausgestatteten Küche auf. Unglaublich, ich träume nicht…

Heute nur 70 km. Na und? Ich habe Zeit…

Die Hausherrin zeigt mir alles. Die Platzgebühr (freie Platzwahl auf dem weitläufigen, frischabgeernteten  Weidegelände um das Anwesen herum), Dusche und Küchenbenutzung inbegriffen kostet mich nur 1500 Kronen, also etwa 11 € , ein Schnäppchen in Island!

Schnell ist das Zelt aufgebaut, ich bin geduscht und koche mir eine Riesenportion Spaghetti. Da ich das Tomatenmark unten im Zelt vergaß, komponiere ich eine feine Senfsoße mit viel Sahne, Röstzwiebeln, Dill, Butter, Gewürzen: Schmeckt ganz anders als gedacht. Aber hervorragend!

Nette lange Gespräche in der Küche mit Finnen aus Helsinki, sie Schwedischlehrerin, er Elektroingenieur, mit Dänen aus Himmelbjerg, einem Isländer aus Akureyri und einer Faröerin, die aus Island stammt. Wir lachen uns krumm über das Sprachengewirr, das sich an diesem Abend der Internationalen Küche bemächtigt…

Um 23.15 falle ich ins Bett, muss aber vorher noch viel trinken, um meine fette Mahlzeit zu „neutralisieren“…

Abendstimmung in Hnjótur

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