4. Oktober 2016 Marsollek
…islandkarte-24-25
Aus dem Reisetagebuch:
Früh am Morgen Tagebuch geschrieben, um 8.30 Uhr geht es los. Es ist kalt.
Der Campingplatz „schläft“ noch.
Der örtliche Bäcker hat aber schon geöffnet. Aufwärmen. Tee trinken.
Süßgebäck, vor allem Snuðer (Schnecken) in allen Variationen. Pizzaschnecken gibt es hier aber auch!
Ich nehme die größte je von mir gegessene zuckergussüberfrachtete, zimtüberwürzte, klebrigste Schnecke und ein Riesenpuddingteilchen zu mir.
Der Darjeelingtee und ein Löffel helfen, alles einigermaßen gesittet „einzunehmen“…
Um 9 Uhr geht’s weiter.
Nach 10 km bin ich warm.
Nach 20 km beginnt in Richtung Borgarnes der sanfte Anstieg über den gut 16 km langen Vatnaleið („Wasserweg“) mit Querung der Halbinsel Snæfellsnesi über Lavafelder der zuletzt vor etwa 4000 Jahren aktiv gewesenen Vulkansysteme auf etwa 300 Höhenmeter.
Karte aus Wikipedia
Es ist eine SAGAUMWOBENE, geschichts- und geschichtenträchtige Landschaft (Saga-Geschichte/Sagnfræði-Geschichtswissenschaft) mit dem 1448 m hohen „magische Kräfte innehabenden“ Gletschervulkan Snæfellsjökull am Ende der Halbinsel, der ich beim nächsten Islandbesuch einmal sicher noch einen genaueren Besuch abstatten werde.
Zunächst – und für heute – freue mich aber schon jetzt auf meinen vegetarischen Burger am Hotel an der Tankstelle „hinterm Berg“…
Vor Passstraßen weisen des Öfteren Tafeln auf die an höchster Stelle herrschende Temperatur und auf dortige Windverhältnisse hin. Per Telefon kann man sich islandweit über die Strecken- und die Wetterverhältnisse informieren – vor allem in der dunklen Jahreszeit wichtig. Mit „bloßem Auge“ sind die flimmernden Digitalanzeigen immer leicht zu lesen, für die Kamera mit Standardeinstellung nicht, wie man „(nicht)“sieht…
Die Gedenktafel vom 2. November 2001 erinnert an die Eröffnung der Passstrecke (fett gravierte Querverbindung rechts), welche dem Reisenden (mir) den Weg von Stykkishólmur nach Borgarnes trotz der etwa 100 km auf einen Bruchteil verkürzt. Und sie erinnert an den damaligen isländischen Verkehrsminister (letztes Wort der Tafel) Sturla Böðvarsson…
Der „Berg“ ist für mich tatsächlich leicht zu bewältigen, am Aussichtspunkt oben kurze Gespräche mit den Insassen zweier isländischer Leihautos, mit deutschen Touristen. Die einen waren eine Woche auf Island und fliegen morgen zurück. Die anderen haben noch eine der zwei Wochen vor sich.
Mit bis zu 55 kmh geht es die 7 km lange Abfahrt hinunter.
Seit meinem ersten Ausritt – und auch diesmal – sehe ich in den tieferen Lagen immer wieder, oder noch öfter als sonst, Pferde in sehr fotogenen Positionen weiden. Komme ich aber kaum auf etwa 300-400 m herangefahren, wie auch dieses Mal, so heben sie die Köpfe, drehen sich in Front zu mir und glotzen. Ein Pferd auf einem Hügel stehend im Profil aus näherer Distanz zu fotografieren: für mich fast unmöglich.
Sind die fasziniert von dem grünschwarzen Drahteselfahrer!!!…
Aber auch Vögel (meistens aus der Familie der Brachvögel) umfliegen mich, in der Regel laut protestierend, landen auf der Straße, laufen ein Stück voran, fliegen zur Seite, fliegen zurück und der Nachbarvogel 100 m weiter übernimmt den „Geleitschutz“. Manchmal sind es noch nicht flügge Jungvögel, die sich sogar mit Eltern auf die Straße verlaufen und erst im letzten Augenblick zur Seite huschen.
So gibt es auch auf allen Straßen Islands Unmengen toter Vögel, die den Touristenfahrzeugen zum Opfer fallen, welche mit ihren motorisierten Pferdestärken durch die Gegend brettern.
Auf den ersten 500 km meiner Insel-Tour räume ich, wie auf tausenden Kilometern skandinavischer Straßen in Jahren zuvor praktiziert, die noch nicht ganz zerquetschen Kadaver von der Straße. In Island gebe ich dieses Procedere aber bereits im Südosten der Insel auf. Denn ich bekomme – selbstauferlegt – einfach zu viel zu tun, muss aber auch noch vorankommen. „Egoistische Notbremse!…“
An manchen Stellen liegen am Straßenrand oder auf dem Asphalt vier Großmöwen innerhalb von vielleicht nur 150 m. Kleine Vögel sowieso…
Küstenseeschwalben scheinen da geschickter zu sein – dachte ich -, auch wenn sie dem an sie gewöhnten Radler gelegentlich aggressiv begegnen. Dann gibt es mitunter sehr schöne Fotos/Kurzvideos im Gegenlicht, wie auf der Fahrt zum Stóri-karl zum Beispiel…
Die Vorfreude auf den vegetarischen Bürger wird nicht enttäuscht.
Mauro an der Bar erkennt mich sofort wieder, Magndis, an der Kasse, beim letzten Mal auch englischsprachige „Allgemeinauskunftei“ für die vielen Touristen, ist heute nicht im Dienst.
Ihren Platz besetzt Ólöf (die weibliche Namensvariante von Ólaf (gespr. Oulaf)), die begeistert ist von meinen von mir selbst doch noch als sehr spärlich empfundenen Ausdrucksmöglichkeiten auf Isländisch.
Der Koch Jorge wächst über sich hinaus und Kellner Jessua, auch Spanier, serviert mir den couscousgrundierten Gemüseburger mit einer ganz anderen, fantastischen Salatzubereitung mit Eissalat, Gurken- und Eierwürfeln, Orangen- und Kiwistückchen und herrlichem Dressing.
Ich bin einfach begeistert. Bravo!
Zwei Stunden verbringe ich im Hotel RJUKANDI, einem kleinen Familienbetrieb (Die Tankstellenzapfsäule wird automatisch und getrennt betrieben) und schreibe meine Erinnerungen nieder (leider gibt es an den Tischen noch keine Steckdosen, um Mobiltelefone (wir Deutschen sagen Handys) zu laden, dafür aber gratis WLAN).
Links Ólöf, rechts Borghilður; links Mauro, rechts Jessua
Natürlich kommt es zum stressigen, feierlichen Gruppenabschiedsfoto mit der fast gesamten Belegschaft, nur der Koch selber, der mir aus der Küche zuzwinkert, kann nicht von der Kochstelle weg. Dafür kommt aber Borghilður herbei, die bei meinem letzten Besuch amerikanischen Touristen – trotz Servierstresses – die Vorzüge und die besonderen Gangarten der isländischen Pferde sowie deren unverändert reine Abstammung von den Pferden der Wikinger von vor etwa 900 Jahren nebenbei zu erklären vermochte.
Die Köche können Isländisch nur bruchstückhaft verstehen, ich wiederum bitte um Entschuldigung für die paar spanischen Brocken, die ich unbeholfen von mir gebe und bedanke mich ganz herzlich bei Ólöf für die besondere Gelegenheit der Isländischnachhilfe…
…Draußen komme ich noch lange nicht weg. Eine Gruppe älterer israelischer Bustouristen umringt mein Rad, erkundigt sich nach den technischen Finessen, fachsimpelt mit mir (einer von ihnen fährt täglich 19 km Rad). Heute wollen sie noch zu den Vögeln am Látrabjarg und sind ganz erschlagen von meinen Fotos. Der Busfahrer ruft sie zum Essen, „mein“ Koch hat offenbar bestes geleistet, und die Nachmittagsfähre wartet nicht. Eile, Eile!!!
Dennoch schießen die Israelis noch ein paar Erinnerungsgruppenfotos mit dem Radler…
Kaum sind sie drinnen spricht mich ein älterer Isländer an, er ist mit dem Auto unterwegs und erkundigt sich nach der Waldorfschule. Sein Sohn (Enkel?) war im Kindergarten der von mir zu Anfang der Reise besuchten Waldorfschule und später in der Waldorfschule im Zentrum Reykjaviks. Er selbst ist anthroposophisch interessiert und kennt einige Werke von Rudolf Steiner. Kurzes herzliches Gespräch mit dem vielsprachigen Sigurd Sigurdsson(?), der auch tatsächlich noch etwas Russisch spricht. Schön!
Auf Wiedersehen! Die Frau winkt mir aus dem Auto zu…
Gegenwind fast auf der gesamten Reststrecke, trotz wechselnder Fahrtrichtungen. Die Vorfreude auf den bei Ankunft am Hotel Rjukandi in Richtung Borgarnes wehenden Starkwind war unberechtigt. Die wechselnden Hügelketten und das nicht ferne Meer scheinen ins Windwechselspiel verliebt zu sein auf dem riesigen „Tennisrasen“. Der Radler ist ihnen gleichgültig. Gräser am Straßenrand bilden phantastische Windmuster. Bäume, Sträucher gibt es nicht.
Nach einer etwa 10 km langen Rückenwindstrecke – erste Sträuchervegetation taucht gerade auf – kommt mir Helmut (55), ein Radler aus Heidelberg entgegen. Er ist vorgestern in Island angekommen, will innerhalb von zwei Wochen nur die Nordwestfjorde befahren und den Nationalpark um den Gletschervulkan Snæfellsjökull erkunden. Seit seiner Ankunft in Keflavik hatte er fast nur Gegenwind und isländische Autofahrer um sich, die laut seiner Aussage „wie die Bekloppten führen“. Helmut will schnell weiter, weil er seinem Pensum nachhinkt. Ich mache ihm, durch die Mitteilung, noch vor einer halben Stunde etwa 20 Kilometer lang starken Gegenwind gehabt zu haben, wage die Hoffnung auf bessere Windverhältnisse. Vielleicht hat er etwas Glück…
…Der Rückenwind unterstützt mich noch einige Kilometer weit, dann serviert mir die Hügelkette zur linken den Tennis-Gegenaufschlag und lässt mich viel langsamer vorankommen. Erst etwa 30 km vor Borgarnes wird der Wind schwächer, macht schließlich Feierabend. Es beginnt zu tröpfeln, der große Regen verzieht sich aber wieder, bleibt über dem Fjord vor Borgarnes hängen…
Ein Mann hupt aus einem Auto heraus, winkt mir zu, bleibt 500 m weiter stehen und filmt den vorbeisausenden Radler und bejubelt ihn lautstark. Dieser bleibt natürlich stehen.
Sigurjón Ólafsson (48) aus Reykjavík ist völlig platt, als er von mir auf Isländisch angesprochen wird. Will nicht glauben, dass ich erst so kurz Isländisch lerne. Gesprächsteile filmt er sogar mit seinem iPhone. Ich bitte ihn, auch ein kurzes Radlervideo mit meiner „Apfel-Taschen-Kamera“ mit der man auch telefonieren kann zu machen. Sigurjón kennt sich aus in Island, kennt die Vogelfelsen, die ich besuchte und ist fassungslos, dass ich dort überall per Rad und mit vollem Gepäck hinaufgekommen bin.
„62 bist du? Mensch du bist ja viel sportlicher als ich! Ich habe vor 5 Jahren mit dem intensiven Radfahren begonnen, um abzunehmen und fitter zu werden, aber du???“…
Er ist voller Staunens und erzählt mir – einfach nebenbei -, dass er im Juni, in den Tagen als ich in Island ankam, die große Runde auf der Ringstraße 1 um Island herum bestritten hat.
„Wow!“, staune ich ganz fasziniert, „aber doch nicht allein?!“
„Nein, nein, das geht nicht. Aber im Zehnerteam. Und mein Pappi (isländisch für Vater) war auch dabei.
Diesmal bin ich platt. Las ich doch in der Bordzeitung der WOW-Air mit der ich nach Island flog, dass es dieses Radextremrennen gibt, und treffe nun direkt einen Teilnehmer…
Ein ganz herzliches, vielleicht viertelstündiges Gespräch unter uns Radlern.
Viele Grüße nach Island, lieber Sigurjón, falls Du dies liest…
Ich komme in guter Stimmung in Borgarnes an, der leichte, zwischendurch wieder einsetzende Regen verschwindet.
Vor dem „Stadt“ direkt neben der Straße befindet sich ein einfacher Zeltplatz.
Dort werde ich übernachten, fahre aber zunächst zum Einkaufen in den Ort hinein.
Der Supermarkt hat fast alles wonach ich suche. Eine breite Packbandrolle, mit deren Hilfe ich mein Rad für den Rückflug präparieren will, fehlt aber. Zur Not muss die 1,5 cm breite Tesa-Rolle, die ich hier finde ausreichen…
Die Geschäfte, in denen ich mich mit Islandpullis, Eiderdaunenkissen, Filzpantoffeln etc. eindecken könnte, sind längst geschlossen.
Die schönsten Islandpullis allerdings aus reiner Alpakawolle gefertigt, strickte mir Moni. Der erste wurde 1981 fertig, in der Nacht, direkt vor unserer allerersten 10.000-Kilometer-Auto-Billigzelt-Konserven-im-Kofferraum-Skandinavien-Rund-Tour über Puttgarden-Helsingborg-Lillehammar-Trondheim-Inari-Kuopio-Palsina (60 km süd-westlich von Jyväskylä)-Naantali-Kappelskär-Helsingborg-Puttgarden.
Als er sich nach 25 „Dienstjahren“ 2006 zum Ende der ersten „Radtour zur Mitternachtssonne“ (Oslo – Kirkenes) aufzulösen begann und von mir während der Tour mit Hansaplast an kritischen Stellen „notrepariert“ wurde, überraschte mich Moni mit einer Kopie gleichen Musters, wieder aus Alpaka.
Dieses Original dient mir seitdem – nicht nur, aber auch – bei all meinen Radtouren. Hier in Island besonders während des Radelns bei windigen sommerlichen Tagestemperaturen zwischen 5°-10°C und oft sogar bei Aufstiegen wenn es 0° – 5° C kalt ist. Ja und nachts nätürlich immer als „Kissenbezug“ für mein aufblasbares Kopfkissen. Danke!
Hoppla!, eine ähnliche, nur viel feinere und größere Tagesdecke häkelte meine „Strickliesel“ 2016…, muss wohl im Trend sein…
Auf dem Rückweg zum „Campingplatz“ eine kleine Pause: Ich spreche am Wegrand noch mit zwei kanadischen Trampern aus Vancouver, die nach Akureyri wollen und die Daumen heben. Lachend bleibe ich stehen, kann ihnen aber nicht helfen…
Auf dem Zeltplatz angekommen, unterhalte ich mich bald mit einem deutschen „Motorradpärchen“ aus Darmstadt (Mein Nachtquartier ist inzwischen direkt neben ihrem Salewazelt aufgeschlagen),
mit einer Amerikanerin,
mit dänischen Trampern aus Fünen
und mit einem älteren Isländer…
Die Kleinstsanitäranlage (ohne Dusche!), um die sich die Zeltler „gruppieren“, hat kommunikationsfördernde Qualitäten…
Am Abend: Herrliche Tomatenbrote mit frischer Zwiebel, Käsebrote sowie Äpfel zum Nachtisch und kein Regen: Was will man mehr…
Die Zeltgebühr wird aber auch hier erhoben: Umgerechnet knapp 10 €, um 21.30 Uhr…
Gute Nacht!